Spiritualität

Seele und Geist spüren und erleben.

Geschrieben von Dr. Martin Splett

Spiritualität – Achtsamkeit für das Geheimnis von Leben und Tod

Spiritualität ist ein wichtiges Themenfeld der Messe „Leben und Tod“, so wie umgekehrt Leben und Tod wichtige spirituelle Themen sind. Dabei ist Spiritualität ein sehr schillerndes Phänomen – ein Begriff für etwas, das schwer zu begreifen ist. Das zeigt sich schon an der sprachlichen Wurzel: Das lateinische „spiritus“ bedeutet unter anderem Atem, Wind, Geist, Seele oder Sinn.

Spiritualität steht für einen Bereich des Denkens und Erlebens, der über das Materielle und das Messbare hinausgeht. Leben und Tod – und damit auch das Sterben – haben etwas Geheimnisvolles. Die spirituelle Dimension des Lebens entzieht sich einer vollständigen Kontrolle, und doch suchen und finden Menschen Zugänge zu ihr, auf sehr unterschiedliche Art und Weise.

Zu den religiösen Wurzeln von Spiritualität

Der Ausdruck stammt aus der christlichen Tradition und bezeichnete ursprünglich eine intensive religiöse Lebenspraxis, ein gläubiges Leben aus dem Geist Gottes.

Wie Christen glauben auch Juden und Muslime an einen göttlichen Schöpfer und hoffen auf eine Vollendung des Lebens über den Tod hinaus. Die monotheistischen Religionen üben ihre Spiritualität seit Jahrhunderten aus und entwickeln sie immer weiter – mit Gebet und Gottesdienst, mit Gemeinschaft und Gespräch. Doch natürlich findet sich eine reichhaltige Spiritualität mit Aktion und Meditation auch in anderen religiösen Traditionen wie etwa im Buddhismus und Hinduismus, mit Vorstellungen von vielen Göttern, Wiedergeburt im Jenseits oder Diesseits (Reinkarnation) oder mit einem Leben in Verbundenheit mit einer kosmischen Kraft oder Energie. Spiritualität ist auch ein großes Thema in der Esoterik.

Spiritualität ist somit gemeinschaftlich eingebettet und entfaltet sich in Kulturen und Traditionen. Zugleich entwickeln Menschen in einer pluralen und individualisierten Gesellschaft zunehmend ihre je eigene Spiritualität und wählen dazu Elemente aus durchaus unterschiedlichen Traditionen aus. Zudem ist Spiritualität als bewusste Achtsamkeit für das Geheimnis des Lebens längst nicht mehr auf religiöse Anschauungen beschränkt. Damit ist klar: Spiritualität ist nicht nur etwas für Fromme, sondern bezeichnet eine Dimension, die zu einem ganzheitlichen Verständnis vom Menschen, von seinem Leben und Sterben dazugehört. Es geht um weit mehr als um religiöse oder meditative Praktiken.

Spiritualität in der Palliativversorgung und im Umgang mit dem Tod

Darum hat der ursprünglich religiöse Spiritualitätsbegriff in den letzten Jahrzehnten auch verstärkt Einzug in das Gesundheitssystem gehalten, vor allem in die palliative Versorgung. So hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1991 in ihre Beschreibung von Palliative Care die Sorge für die spirituellen Bedürfnisse von Kranken und Sterbenden ausdrücklich mit aufgenommen.

Die Europäische Gesellschaft für Palliativversorgung definiert Spiritualität derzeit als  „dynamische Dimension menschlichen Lebens, die sich darauf bezieht, wie Personen Sinn, Bedeutung und Transzendenz erfahren, ausdrücken und/oder suchen, und wie sie in Verbindung stehen mit dem Moment, dem eigenen Selbst, mit Anderen/m, mit der Natur, mit dem Bedeutsamen und/oder dem Heiligen. Der spirituelle Bereich umfasst dabei existentielle Fragestellungen, Werte und Werthaltungen und religiöse Aspekte.“

Demnach nimmt eine ganzheitliche Versorgung und Begleitung von Menschen in der letzten Lebensphase – aber nicht erst dann – neben körperlichen und psycho-sozialen Aspekten auch die genannten spirituellen Fragen und Bedürfnisse mit in den Blick. An dieser so genannten „Spiritual Care“ haben sowohl die behandelnden Palliativkräfte aus Medizin, Pflege usw. Anteil als auch Hospizhelfende und Angehörige. Hinzu kommt die kirchliche bzw. religiöse Seelsorge mit ihren Begleitungs- und spirituellen Angeboten.

Wie Menschen mit der Geheimnishaftigkeit ihres Lebens umgehen, hat Auswirkungen darauf, wie sie sich ihren Tod und ihre Bestattung vorstellen. Wie sollen das Leben und Sterben gedeutet und gefeiert werden, welcher Trost und welche Hoffnung sollen bei Trauerfeiern zum Ausdruck kommen?

Auch die Art und Weise, wie Menschen um ihre Toten trauern, ist von ihrer Spiritualität geprägt – und prägt umgekehrt ihr weiteres Leben und Erleben. Es macht für das Gedenken einen Unterschied, ob man an eine Wirklichkeit jenseits des Todes bzw. an ein Wiedersehen mit den Verstorbenen glaubt, ob und wie man sich ihnen weiter verbunden fühlt.

Reflektierte und praktizierte Spiritualität

Spiritualität gehört nicht nur zu einem ganzheitlichen Verständnis vom Menschen und zu einer ganzheitlichen Betreuung von Sterbenden und Trauernden, sondern ist selbst ein ganzheitlich zu betrachtendes Phänomen und Geschehen, mit eher reflektierenden und mit eher praktischen Aspekten.

So gehört zur Spiritualität eines Menschen die persönliche Auseinandersetzung mit existentiellen Fragen wie: Was ist mir für mein Leben wichtig, was gibt mir im Leben und Sterben Halt, was trägt? Welche Haltung habe ich mir selbst und anderen gegenüber? Welchen Sinn suche, sehe und gestalte ich für mein Leben? Was bedeutet der Tod? Was ist mit Leid und Sinnlosigkeit? Und was macht mir Hoffnung? Spirituelle Begleitung, durch Seelsorger*innen und andere, kann dabei helfen, sich diesen Fragen zu stellen und eigene Antworten darauf zu finden.

Allerdings ist Spiritualität nicht allein oder vorrangig eine intellektuelle Angelegenheit, sondern hat viel mit Achtsamkeit und Erfahrung zu tun. Es ist weniger eine Kopfsache, sondern vielmehr eine Herzensangelegenheit. Und es ist weniger ein Kreisen um sich selbst als vielmehr ein In-Beziehung-treten mit der Wirklichkeit um mich herum und in mir – und das auf vielerlei Weise, individuell und gemeinschaftlich, mit Riten und Symbolen, rational und emotional.

Eine ganzheitliche Spiritualität nimmt den Menschen als faszinierendes, geheimnisvolles Wesen mit Leib und Seele in den Blick und möchte ihm Gutes zuteil werden lassen. „Mens sana in corpore sano“, sagt der Lateiner: „Ein gesunder Geist [steckt] in einem gesunden Körper“. Körperübungen, Achtsamkeitsmeditationen, eine gesunde Ernährung und dergleichen fördern die eigene Spiritualität ebenso wie die Entwicklung und Pflege unserer Resilienz, also der Fähigkeit, mit Hilfe der eigenen körperlichen und psychischen Ressourcen widerstandsfähig und konstruktiv auf Herausforderungen und Krisen zu reagieren.

Eine lebensnahe Spiritualität vermag zu trösten ohne zu vertrösten. Und sie hilft durchzuhalten und auszuhalten, wenn man sich nicht trösten lassen kann. Spiritualität muss nicht immer erleuchten, und doch bietet sie ein Licht, das hilft, nicht nur schwarz zu sehen, ohne das Dunkle zu verdrängen.

Fazit: Spiritualität in der Spannung von Leben und Tod

Menschliche Existenz vollzieht sich in einer Spannung zwischen Polen: Leib und Seele, Leben und Tod, Licht und Dunkel, Alleinsein und Gemeinschaft, Sinn und Schmerz. Spiritualität verhält sich dazu nicht neutral, sondern ermutigt dazu, der Sehnsucht mehr zu trauen als der Sorge, der Hoffnung mehr als der Verzweiflung. Mit Spiritualität lässt sich die Wirklichkeit in ihrer Geheimnishaftigkeit wahrnehmen, wie sie ist; und sie lässt sich gestalten, wie sie sein kann. Das gilt für das Leben im Allgemeinen, und das gilt für Sterben, Tod und Trauer im Besonderen.

Über

Dr. Martin Splett

Referent für Hospizarbeit und Trauerpastoral im Bistum Osnabrück. Mitglied im Beirat der LEBEN UND TOD.

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