Nele Röttger ist Philosophin und arbeitet im interdisziplinären und interprofessionellen Feld der Ethik im Gesundheitswesen an der Universität Bielefeld. Ein ihr wichtiges Anliegen ist es, einen reflektierten Umgang mit ethischen Herausforderungen in der Praxis durch philosophische Begriffsklärung zu unterstützen.

Moralischer Stress ist ein Phänomen, bei dem sowohl die moralischen Überzeugungen einer Person als auch ihr Erleben in Form von Empörung, Scham- und Schuldgefühlen, Ohnmacht oder Unsicherheit eine wichtige Rolle spielen. Wenn man moralischen Stress erfährt, stellen sich dabei Fragen nach der eigenen Verantwortung, der ethischen Haltung sowie der eigenen Integrität.

Eine philosophische Perspektive auf dieses Spannungsfeld kann für betroffene und beratende Menschen einen differenzierteren Umgang mit den konkreten Herausforderungen erleichtern. Die Aufgabe der Philosophie besteht dabei nicht darin, abschließende Antworten anzubieten, da die Entscheidungshoheit darüber, was unter welchen Umständen verantwortet werden kann, bei der verantwortlichen Person oder auch Institutionen liegt. Dennoch kann die philosophische Auseinandersetzung einen Beitrag dazu leisten, die eigenen Entscheidungen, Haltungen sowie die Bedingungen, unter denen man handelt, zu reflektieren, um der eigenen Verantwortung möglichst gerecht zu werden. Das heißt, die philosophische Perspektive kann eine persönliche und systematische Reflexion anregen, um die eigenen Wurzeln zu stärken und dadurch an Halt zu gewinnen.