Bestattungskultur

Abschied nehmen und erinnern.

Geschrieben von Dr. Simon J. Walter

Der gesellschaftliche Wandel, den wir heute in allen Bereichen beobachten und erleben, prägt auch unsere Bestattungskultur. Die Art und Weise, wie Menschen sterben und wie Menschen trauern, verändert sich. Manche Veränderungen erfahren bereits mediale Aufmerksamkeit; andere werden fast ausschließlich in Fachkreisen diskutiert. Ein breiter und offener Dialog über das Sterben, den Tod und die Trauer ist heute nicht mehr nur wichtig – sondern notwendig geworden.

Seit etwa zwei Jahrzehnten wird verstärkt über den Wandel unserer Bestattungskultur gesprochen. Darin wird der korrespondierende Wandel unserer Trauer- und Friedhofskultur meist mitinbegriffen. Als treibende Faktoren werden z. B. die sich durchsetzende Säkularisierung, die erhöhte Mobilität in unserer Gesellschaft, sich wandelnde Familienbilder, Interkulturalität und Individualisierung genannt. Letztendlich lassen sich aber natürlich alle möglichen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse auf diese und weitere Faktoren zurückführen.

Zielführender scheint daher die Frage, welche ganz konkreten Entwicklungen sich im weiten Feld der Bestattungskultur beobachten lassen: Welche Erwartungen haben Menschen heute an eine Beisetzung und Trauerfeier? Wie artikulieren Sie diese Erwartungen? Inwiefern müssen unsere Friedhöfe stärker auf die Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet sein? Kann Trauer heilsam sein?

Die Pandemie als Ausnahmesituation der Trauer

Im Kontext der Corona-Pandemie mussten wir erleben, wie schnell unsere scheinbar gefestigte Bestattungskultur in eine Krise geraten kann. Im ersten Lockdown im Frühjahr 2020 konnten Sterbende oftmals nicht von ihren Angehörigen begleitet werden. Trauerfeiern durften nur im engsten Familienkreis stattfinden. Immerhin wurden diese Maßnahmen im Rückblick als unverhältnismäßig erkannt und im zweiten Lockdown nicht 1:1 übernommen. Dennoch bedeutet die Pandemie weiterhin eine massive Beeinträchtigung für Sterbende und Trauernde. Die längerfristigen Folgen für die Betroffenen werden dabei kaum öffentlich reflektiert. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sich des Themas angenommen und die Krise auch ganz ausdrücklich als Krise der Trauer und der Trauernden gefasst hat.

Die Erfahrungen der Pandemie zeigen, dass wir Anliegen der Bestattungs- und Trauerkultur noch klarer in der Öffentlichkeit platzieren und dabei vor allem auf langfristige und strukturelle Veränderungen aufmerksam machen müssen.

Individualität – Kern einer sich wandelnden Bestattungskultur?

Trauern, Gedenken (und auch Sterben) werden immer individueller. Das betrifft nicht nur die äußeren Formen z. B. von Beisetzungen, sondern auch die persönlichen Bedürfnisse der Menschen. In anderen Lebensbereichen sind maßgeschneiderte Dienstleistungen und eine individuelle Beratung für uns bereits ganz selbstverständlich. Während aber z. B. eine Bestattung individuell geplant werden kann, ist diese Entwicklung in anderen Bereichen noch nicht angekommen. Namentlich auf unseren Friedhöfen gelten oftmals noch Regelungen, die mit den Wünschen der Vorsorgenden oder Angehörigen kollidieren. Das betrifft beispielsweise Trauerhandlungen an der Grabstätte oder das Erscheinungsbild des Grabes. Hier stehen die Friedhofsträger in der Verantwortung, im Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern und den am Friedhof tätigen Gewerken neue Wege auszuloten und anschließend auch zu beschreiten.

Neue und neugedachte Trauerorte

Trauer und Gedenken finden indes nicht mehr nur am Grab statt. Insbesondere in den letzten Jahren erleben wir, dass Menschen sich aktiv Orte erschließen, an denen sie sich in ihrer Trauer geborgen fühlen. Nach Unglücksfällen oder Verbrechen mit Todesopfern entstehen z. B. improvisierte Gedenkstätten im öffentlichen Raum. Manchmal bleiben diese zeitlich begrenzt – teilweise entwickeln sie sich jedoch zu festen Orten der Zusammenkunft.

Ein noch sehr junges Phänomen stellen Trauerorte dar, die auf Initiative verschiedener Träger im öffentlichen Raum entstehen. Diese Orte stellen keine Fragen nach der Trauer des Einzelnen und geben keine spezifischen Handlungen vor. Bekannte Beispiele sind die Trauerorte in Mainz und in Singen sowie die Trauerhaltestelle in Hamburg.

Trauer in digitalen Räumen und Zusammenhängen

Omnipräsenter Ort der Trauer und des Gedenkens ist heute natürlich das Internet. Hier folgt die Trauer anderen Grundmustern. Ansätze und Formen des Gedenkens entwickeln sich oftmals organisch, z. B. in den Sozialen Medien. Trauernde kommen aber auch gezielt auf entsprechenden Plattformen zusammen und vernetzen sich miteinander. Insbesondere für jüngere Generationen, für die Grenzen zwischen der analogen und digitalen Welt praktisch nicht mehr existieren, werden digitale Gedenk- und Trauerräume immer wichtiger werden.

Die Digitalisierung erfasst natürlich auch alle anderen Bereiche unserer Bestattungs- und Trauerkultur. Ein häufig noch unterschätztes Phänomen ist der sogenannte digitale Nachlass. Dabei geht es nicht nur um organisatorische Fragen z. B. nach Passwörtern oder um das Löschen von Accounts. Was bedeutet es für den Trauerprozess, wenn Angehörige Zugriff auf Onlineprofile und Nachrichtenverläufe von Verstorbenen erhalten? Und wenn sie dort mitunter Details aus deren Leben erfahren, die ihnen vorher unbekannt waren? Hier wird in den kommenden Jahren viel Aufklärungsarbeit notwendig sein, um Vorsorgende wie Angehörige für solche Fragen zu sensibilisieren.

Der Wandel unserer Bestattungs-, Trauer- und Friedhofskultur ist vielfältig. Die teils strukturellen Veränderungsprozesse, in denen wir uns bereits befinden, bedeuten Herausforderungen für uns alle. In den nächsten Jahren muss es darum gehen, diese Herausforderungen als Chancen zu begreifen. Auch in Rückblick auf eine Pandemie, in der wir eindrücklich vor Augen geführt bekommen haben, wie defizitär der gesellschaftliche Umgang mit Fragen rund um das Sterben und Trauern teilweise noch ist.

Über

Dr. Simon J. Walter

Kulturbeauftragter und Redakteur der Fachzeitschrift „bestattungskultur“. Als Kulturbeauftragter vertritt er zudem das Kuratorium Deutsche Bestattungskultur e. V. und die Stiftung Deutsche Bestattungskultur.

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